Kühr, Erich Carl: Berechnung der Ereigniszeiten
Es werden hier zwei Besprechungen zu diesem Buch dargelegt, eine von 1935 aus der Zeitschrift Zenit (Zentralblatt für astrologische Forschung), und eine von mir (2009)
Kühr, Erich Carl Berechnung der Ereigniszeiten Regulus-Verlag, K.-G., Görlitz. 400 Seiten, 32 Zeichnungen, Preis brosch. 8.- RM., in Leinen 9,60 RM.
Dieses Buch wird ein Markstein der führenden Literatur über Astrologie werden. Der Verfasser, der seit Beginn der wissenschaftlichen Auseinandersetzungen über die Grundlagen der Astrologie im Vordergrund steht, legt nunmehr in einem geschlossenen Werk mit unerreicht klaren Gedankengängen die Grundbegriffe der astrologischen Berechnungen dar, dass sie selbst dem gebildeten Laien zu einem zuverlässigen Führer im Selbststudium werden. Kühr hat so ein Lehrwerk geschaffen, wie es seinesgleichen bis heute nicht gegeben hat. Bis jetzt konnten Zweifler und Gegner der wissenschaftlichen Astrologie nicht mit Unrecht darauf verweisen, dass innerhalb der astrologischen Fachwelt ja über Grundbegriffe wie Direktions- und Häuserberechnung, Polhöhen, Schlüsselfragen usw. noch keine absolute Klarheit herrsche, dass Meinung gegen Meinung stehe. Mit scharfer und zwingender Logik setzt nun Kühr diese Begriffe in aller Ausführlichkeit und absoluter Durchsichtigkeit auseinander an Hand von geradezu unübertrefflichen Zeichnungen, welche die wirklichen, den Direktionsbildungen zugrunde liegenden Vorgänge unzweideutig darstellen, befasst sich mit einem wirklich bewundernswerten Fleiß auch mit dem Kleinsten, was bisher in der maßgeblichen Diskussion für und wider gebracht wurde, und hebt so die künftige Diskussion auf eine ganz neue Basis; denn auch seinen Gegnern dürfte es schwer werden, an diesen gründlichen und in sich geschlossenen Diskussionen zu rütteln. Dabei entwickelt Kühr nicht den Ehrgeiz, ein neues Direktionssysten zu erklügeln. Sein Streben geht vielmehr dahin, gerade seinen Standpunkt aus der klassischen Astrologie zu belegen, indem er deren Diktion auf die Ebene des modernen Denkens verpflanzt. Es muss unumwunden zugegeben werden, dass dieses Werk seither erschienene Lehrwerke an Klarheit, Geschlossenheit und Eindringlichkeit weit übertrifft, dass es in seiner unerbittlichen Logik auch keinen Raum mehr lässt für gleichrangige Systeme und Berechnungsarten, dass es aber nicht möglich gewesen wäre, hätte nicht der „Zenit“ seit seinem Bestehen sich bewusst in den Dienst der klärenden und oft recht schwierigen Diskussion gestellt. Auch der Verfasser fasst das, was aus dieser Diskussion an Brauchbarem für die Praxis entsprungen ist, in meisterlicher Darstellung zusammen, indem er auch die wertvollen historischen Forschungen, beispielsweise von Bibl.-Dir. KNAPPICH, gewissermaßen erst für die Praxis nutzbar macht. Dabei stellt er objektiv PLACIDUS neben REGIOMONTANUS, gibt die mathematische Richtigkeit des Regiomontanus zu, weist aber seinen Fehler in astrologisch-analogischer Beziehung klar nach. Gerade in diesem entscheidenden Punkt der Darstellung leisten die Zeichnungen Erstaunliches hinsichtlich der Klärung der Begriffe. Ebenso eindeutig wirken diese Zeichnungen zur Klärung der Polhöhenfrage mit. Dies alles kann hier nur angedeutet werden.
Die künftige Diskussion über astrologische Probleme erfährt durch dieses Buch eine wesentliche Bereicherung und vor allem eine Ausrichtung auf die praktische Auswertung astrologischer Forschungen. Gerade der konkrete Nutzen ist ja der Wertmaßstab für jegliche Theorie. In diesem Sinne aber bietet Kührs Buch außerordentlich viel Wertvolles. Eine andere Seite des Buches scheint mir noch viel wichtiger: Seither war es für Laien unmöglich, sich mit Befriedigung und ohne Reste von wichtigen Problemen in der Praxis der Primärdirektionen einzuarbeiten. An einem gewissen Punkt musste der Studierende immer wieder unerklärliche Gegensätze, wie etwa NAIBOD- oder PTOLEMAEUS-Schlüssel, oder Placidus und Regiomontanus stoßen. Aber Kührs Werk stellt nunmehr ein ganz vortreffliches Lehrwerk dar, das vor allem auch künftigen Prüflingen der Astrologie einen festen und geraden Weg bietet, sich mit Fleiß die nötigen Kenntnisse anzueignen und bis in die letzten Probleme unter sicherer Anleitung vorzudringen. Das Buch wird so den Kreis ernsthafter Interessenten ganz wesentlich erweitern, es wird aber auch ein Maßstab für die Gegner der Astrologie sein, denn wer dieses Buch nicht beherrscht, hat keinen Anspruch, wissenschaftlich ernst genommen zu werden. Kühr erledigt in seiner meisterlichen Darstellung der Begriffe seither in gewissem Sinn berechtigte Zweifel, namentlich außenstehender Wissenschaftler und darum ist das Buch auch in diesem Sinne ein Lehrwerk, wie es seither noch nicht da war, aber sehnlichst gesucht und erwartet wurde.
Endlich noch ein Wort besonderer Anerkennung an den Regulus-Verlag, der mit der geschmackvollen Herausgabe der Kührschen Werke einen opferbereiten Weitblick beweist und dadurch mithilft, die wissenschaftliche Astrologie auf eine breitere Diskussionsbasis zu stellen, zumal das Schlusswort des Verfassers noch weitere Werke von grundlegender Bedeutung in Aussicht stellt. Man kann diesem Buche Kührs nur die weiteste Verbreitung wünschen. Ist es doch eine einzigartige Leistung deutscher Sachlichkeit und Gründlichkeit, der auch das Ausland auf diesem Gebiet nichts annähernd Gleichwertiges gegenüber zu stellen hat.
(Dr. Dierst, Zenit 1935)
Zu dieser alten Kritik möchte ich eine neue ergänzen.
Wenn ich nur die Erlaubnis hätte, ein einziges Astrologiebuch zu lesen, dann wäre die Entscheidung nicht schwer. Ich würde die „Berechnung der Ereigniszeiten“ von E.C. Kühr wählen. Dieses Buch ist die Essenz einer der wichtigsten Entdeckungen, vielleicht der wichtigsten auf astrologischem Gebiet, des 20.Jahrhunderts. Es bringt nicht nur eine ethische und technische Grundhaltung für die Prognose und Metagnose nahe, sondern wirft auf die Horoskopdeutung an sich und den Schicksalsbegriff ein neues Licht.
Ich habe einige Direktionssysteme ausprobiert und war zunächst mit dem hier vorliegenden kritisch, weil gerade das Direktionssystem Kührs, wo unter der eigenen Polhöhe nach der schiefen Aufsteigung auf dem Äquator dirigiert wird, kein sehr verbreitetes System ist. Wenn man es versucht mit der Hand zu rechnen, kann eine einzige Direktionsbestimmung schon Stunden dauern. Es gibt die Tabellen (AO-Tabellen und AR-Tabellen von E.C. Kühr), mit deren Hilfe es teilweise schneller geht. Aber ein Grund, warum dieses System nicht sehr verbreitet ist, liegt sicherlich in der allgemeinen Faulheit der Astrologen. Da zählt man lieber Grade auf der Ekliptik ab und peilt über den Daumen. Das allerdings führt zu sehr unrichtigen Bestimmungen, schon weil der Tierkreis eine Projektionsfläche, nicht aber das Feld der primären Bewegung ist.
Man kann mit der Methode Kühr nicht mal eben schnell eine Direktion anschauen. Und es kommen oft auch nicht die Direktionen zustande, die man vermutet. Das Verständnis darüber muss sich wandeln. Es ist ein Denken, wie wir es vielleicht bei Jean Baptiste Morin de Villefrache finden, der in seiner Determinationslehre sicherlich ein großes Vorbild Kührs war. Kühr vermittelt in seinem Buch eine strenge Logik von Determination und Beziehung zwischen Ereignissen und Planetengegebenheiten. Das Horoskop muss dazu als dynamische Momentaufnahme einer großen Bewegung, die das Leben und das Schicksal beinhaltet, verstanden werden. Zitat (S. 338):
„Die Determinationen der radikalen Konstellationen sind unveränderbar das ganze Leben hindurch". Erst aus der Richtigkeit dieses Fundamentalsatzes folgt, dass die Radix das gesamte Lebensschicksal des Nativen in sich enthält, und dass keine Direktion, kein Transit, Ingreß, kein Solar-, Lunar- oder sonstiges Hilfshoroskop das radikal festgelegte Geschick verändern, ihm etwas hinzufügen oder abziehen kann. Die Radix bleibt somit die unverrückbare Grundlage jeder aus Direktionen, Transiten, Ingressen, Hilfsfiguren usw. abzuleitenden Deutung.“
Ich kenne zwei Astrologieprogramme, die unter dieser Methode Direktionen berechnen, das eine heißt Hermes und ist nicht mehr auf dem Markt, das andere heißt Astrolab und ist von Bernd Röttger (seine Seite finden Sie hier: Astrolabsysteme-Röttger).
Beide Programme verwechseln Promissor und Signifikator und dirigieren in die falsche Richtung. Rechnerisch bleibt es richtig und lässt sich vielleicht nicht leicht anders darstellen. Nur muss man dann in dieser unrichtigen Darstellung im Kopf die Konstellationen andersherum drehen.
Kühr überträgt das Häusersystem des Placidus auf die Direktionen und bringt so als erster die Anweisungen des Ptolemaeus in eine berechenbare Anwendung.
Meine Skepsis gegenüber dem kührschen System war, dass es vielleicht ein Schreibtischsystem ist, welches in der Praxis nicht so gut funktioniert wie in seinen Beispielen.
Das Gegenteil erfuhr ich, als ich mich einer ganz historischen Horoskopdiskussion einer Metagnose anschloss - nämlich der über die unerwartete Hinrichtung des Sohns von Cardanus im Jahr 1560.
Cardanus und nachfolgende Generationen von Astrologen, Halbgötter unseres Fachs, wie Cardanus, Maginus und Placidus konnten diesen Fall nicht direktional befriedigend in einer schlüssigen Metagnose darlegen. (Weitere Buchhinweise zu Placidus, Cardanus und Kühr in meiner Bibliographie)
Mit dem kührschen System erst funktioniert es! Und das ist wie ein Wunder und für mich, ein Beweis, dass eine Linie der historischen Entwicklungen astrologischer Techniken im 20. Jahrhundert fortgesetzt wurde. Vieles andere ist vielleicht gehaltloser geworden. Wir sind heute nicht in der Lage, wozu Gauricus oder Nostradamus in der Lage waren. Das liegt vor allem in der heutigen technokratischen Einseitigkeit. Doch hätte Nostradamus mit diesen Direktionen rechnen können - vielleicht hätte er keine Muskatnüsse mehr gebraucht.
Ich möchte hier nun noch den Fall des Cardanus aufzeigen: (Teil einer Kursaufzeichnung)